Die atemberaubende Aufführung von „Rigoletto“ an der Seebühne der Bregenzer Festspiele verzauberte seit 2019 tausende Musik- und Opernfans. 2020 wurde die aufwendige Inszenierung von Philipp Stölzl mit dem Opus – Deutscher Bühnenpreis prämiert. Das Stück ging dieses Jahr unter Corona-Auflagen wieder mit Publikum in die finale Spielzeit. Der Weitblick auf den Bodensee ist dabei herrlich und aus dem aufwendigen Bühnenbild sprudeln immer wieder neue kreative, kinetische Überraschungen hervor. Die Akteure wandeln in einer Fantasiewelt rund um einen verfahrbaren Clownskopf, der mit seinen Bewegungen die Dramaturgie des weltberühmten Opernwerks unterstützt.
Clemens Wannemacher (Leiter der Tonabteilung) erklärt im Video-Interview mit EventElevator spannende Details zur Ton-Produktion sowie Raumsimulation an der Bregenzer Seebühne. Weitere Insights zur Audioproduktion geben weiterhin Dipl. Tonmeister und FOH Johannes Philipp Müller sowie Marco Kuhnmünch vom Lautsprecher-Spezialisten Kling & Freitag.
Das Beschallungssystem rund um die Open-Air-Stage ist ein ausgeklügeltes Meisterwerk aus minutiös positionierten Punktschallquellen – die natürlich Wind und Wetter standhalten müssen. „Wenn man sich ansieht was hier für ein Aufwand getrieben wird, um aus einer Oper ein riesiges Spektakel zu machen, dann muss auch die Tontechnik mithalten“, sagt Wannemacher zu den Ambitionen seines Audioteams vor Ort. Rund 7.000 Besucher werden beim Open-Air-Event mit den Klängen der berühmten Verdi-Partitur versorgt. Und das Bühnengeschehen und das live dazu abgenommen Orchester soll für das Publikum mit bester Ortung zu den Akteuren plus perfekter Raumsimulation abgebildet werden. Dafür sind rund um die weitläufige Stage mehr als 400 Lautsprecher im Einsatz. „Wir wollen eine Akustik schaffen, die den Zuschauer einhüllt und dadurch näher ans Geschehen bringt“, konkretisiert Wannemacher.
Die Beschallungssysteme an der Bregenzer Seebühne
Für die Raumsimulation sind beispielsweise 29 Lautsprecher-Masten direkt an der ca. 80 Meter breiten Tribüne positioniert, die in drei Hörebenen mit K&F SPECTRA 212 (14 Lautsprecher) und eigens für diesen Einsatz konfigurierten K&F CA 1001 CX (29 Lautsprecher) bestückt sind. Als weitere Neuentwicklung von Kling & Freitag kamen zur diesjährigen Saison noch 270 K&F LINUS Linienstrahler hinzu, die als spezielle „Untersitzbeschallung“ das Raumsignal zusätzlich direkt an die Plätze der Zuschauer bringen.
„Die K&F LINUS, die wir über 96 Kanäle ansteuern, haben wir dieses Jahr zum ersten Mal im Einsatz. Damit versuchen wir vor allem die Mittelpositionen auf der Tribüne noch näher an das Geschehen heranzubringen“, erklärt der Leiter der Tonabteilung dazu. Abgerundet wird das Raumsimulations-Speaker-Arrangment von 36 Adamson Point 12 sowie sechs weiteren K&F CA 1215.
An und um die Seebühne herum befinden sich die Lautsprecher-Positionen auf der Stage selbst, links und rechts auf entsprechenden Stahltürmen sowie auf mehreren vorgelagerten Holzpfählen direkt über der Wasseroberfläche. Letztere sind mit den wetterfesten Adamson Point 12 bestückt. Auf der Bühne und den Türmen kommen weiterhin neben JBL 4892/4894 und JBL SRX 728S unter anderem wieder K&F SPECTRA mit K&F Nomos XLS, K&F T5 sowie KV2 Audio ESR212 zum Einsatz.
Details zu den Audio-Tools in der Tonregie der Bregenzer Seebühne
Clemens Wannemacher hat Spaß daran, mit seinem Audio-Team die Technik an der Bregenzer Seebühne jedes Jahr weiter zu optimieren. Täglich gibt es neue Herausforderungen. Denn bei einer Open-Air-Spielstätte muss für den perfekten Frequenzgang selbst der Wellengang und das Regenwetter berücksichtig werden. Die Mixing-Aufgaben am FOH Platz teilt er sich mit dem erfahrenen Tonmeister Johannes Philipp Müller. Die Mischung aus den Spuren der Solisten, Orchester, Effekten und diversen Zuspielern endet in einem 7.1-Format und wird an einem Lawo mc²96 (mit redundanter Umschaltmatrix Lawo Nova73 HD) live gemixt.
Ein Herzstück des kompletten Audio-Systems ist natürlich der hauseigne Richtungsmischer, mit dem ein Operator die Akteure auf der Bühne jeden Abend über 40 Richtungsgebiete hinweg live verfolgt. Damit verbessert das Team on-the-fly die Ortung der Solisten für das Publikum. Das System basiert technologisch auf zwei Fraunhofer IDMT „RIMI“-Einheiten, die helfen, die jeweils vordefinierten Beschallungszonen zu lokalisieren. Beim Definieren dieser Richtungsgebiete passiert im Hintergrund nicht nur eine einfache Pegelblendung, sondern es werden unter anderem mit einem speziellen Algorithmus auch die Delay-Zeiten angepasst. Im Video erklären Wannemacher und Müller mehr zu ihren Abläufen und Techniken der Ton-Regie.
Die Simulation des 3D-Raumklangs wird mit zwei VIVACE-Systeme von Müller-BBM umgesetzt: „Alles was mit Raum- und Halleffekten zu tun hat, realisieren wir inzwischen komplett über VIVACE. Dadurch, dass unser System hier so umfangreich ist, haben wir damit genau das richtige Tool an der Hand, dass mit dieser Komplexität umgehen kann. Ein klassischer Stereohall wie etwa ein Bricasti klingt natürlich super, aber er liefert uns eben nur zwei Kanäle im Output. Und wir brauchen hier um die 200, um alles gut abbilden zu können“, umschreibt Müller die hohen Anforderungen für die Simulation des 3D-Konzerthaus-Reverbs. Flexibilität im Bereich der Signalverteilung und DSP-Processing bieten dem Team im Hintergrund weiterhin zwei PRODIGY.MP Audiokonverter von DirectOut.
Verwendete Mikrofone und Funkstrecken
Zur Abnahme der Solisten setzt die Audio-Abteilung auf zwei Shure Axient Digital Drahtlossysteme (mit Shure AD1/AD1X Sendern) und verwendet AKG CK 77 Mikros mit Voice Technologies VT403WA Spezialbügel. Zur Sicherheit sind die Solisten doppelt und teilweise sogar dreifach mikrofoniert. Für das Monitoring und die Überwachung der Funkstrecken kommen Wavetool Platinum und Wireless Workbench zum Zuge. Bei der Orchesterabnahme im Feststpielhaus wird beim Hauptsystem auf einen Decca-Tree mit Schoeps MK2H Mikrofonen zurückgegriffen. Weiterhin kommen Schoeps MK2H sowie AKG C414 XLS für die Raumsysteme und als Stützmikros Schoeps MK4, Neumann KM184 und AKG C414 XLS zum Einsatz.
„Mich erstaunt die Präzision der Lokalisierung“
Der Sound an der Bregenzer Seebühne lässt einen die meisterhaften Solo-Künstlern und Symphoniker live und ganz natürlich erleben. Der Klang ist elegant, natürlich und präzise. Das Auge wird dabei ganz sanft und unterschwellig von den Ortungs-Algorithmen im Hintergrund gelenkt und so bleibt der Zuschauer immer am Geschen – trotz der maximalen 60 Meter Abstand. Das Frequenzbild zeigt sich nicht nur „platt“ und eingesperrt in einem einfachen Stereofeld. Stimmen und einzelne Instrumente können sich in Bregenz im Raum selbst unter dem Sternenhimmel entfalten und wirken lebendig: „Ich würde den Klang in Bregenz als groß und beeindruckend beschreiben. Was mich immer wieder erstaunt, ist die Präzision der Lokalisierung. Dass man einfach ganz unangestrengt zuhören kann, ohne darüber nachzudenken, was gerade im Hintergrund eigentlich passiert. Und ich glaube, das ist der große Zauber, den wir hier erreichen“, fasst Clemens Wannemacher die einmalige Akustik an der Seebühne in Bregenz zusammen. Das Bühnen- und Audioteam wird die Besucher nächstes Jahr mit der Puccini-Oper Madame Butterfly verzaubern und seinen kreativ-technischen Anspruch ohne Zweifel wieder steigern.