Schlossfestspiele Schwerin: 41 Mikros auf 18 Fadern

Die Mitarbeiter müssen aus rund 60 Wireless-Strecken und über 40 Orchester-Mikrofonen ein harmonisches Gesamtklangbild kreieren Die Mitarbeiter müssen aus rund 60 Wireless-Strecken und über 40 Orchester-Mikrofonen ein harmonisches Gesamtklangbild kreieren


Die Mitarbeiter müssen aus rund 60 Wireless-Strecken und über 40 Orchester-Mikrofonen ein harmonisches Gesamtklangbild kreieren | © Theater Schwerin
Seit nunmehr 20 Jahren finden in Schwerin alljährlich die

Schlossfestspiele statt. Während in einigen Jahren neben Oper und Musical auch Schauspielstücke für das Freilicht-Event inszeniert wurden, konzentrierte man sich in den letzter Zeit ausschließlich auf Musiktheater.

Für die vierköpfige Tonabteilung der Schlossfestspiele, deren Mitarbeiter zum großen Teil schon seit vielen Jahren mit von der Partie sind, gilt es aus rund 60 Wireless-Strecken und über 40 Orchester-Mikrofonen ein harmonisches Gesamtklangbild zu kreieren. Dazu wird neben einem schlüssigen Beschallungskonzept bereits seit einigen Jahren auch mit verschiedenen Tracking-Systemen zur richtungsbezogenen Verstärkung der Akteure gearbeitet. Geliefert wird das Material von Neumann & Müller.

Die 41 Mikrofone des Orchesters werden über die sehr kompakte Oberfläche des Yamaha CL1 verwaltetDie 41 Mikrofone des Orchesters werden über die Oberfläche des Yamaha CL1 verwaltetGetreu dem Motto, dass man Gutes immer noch besser machen kann, hielten auch bei der diesjährigen Operetten-Produktion „Die Fledermaus“ einige wesentliche Neuerungen Einzug in die Tonausstattung. EventElevator haben besonders die Erfahrungen der Ton-Crew mit dem neuen digitalen Wireless-System ULX-D von Shure und der Audio-over-IP-Technologie DANTE interessiert. Wir sprachen zunächst mit Benjamin Schultz und Marco Tylinski, die zusammen den Radioraum betreuen. Später berichteten uns noch die beiden für den FoH-Mix verantwortlichen Tonmeister Martin Wurmnest und Erwin Liebscher über ihre Erfahrungen mit Yamahas neuen CL-Pulten, das TiMax-Tracker-System und unsichtbare Lautsprecher.

Ihr habt dieses Jahr zum ersten Mal das Shure ULX-D-System im Einsatz. Was sind Euere bisherigen Erfahrungen damit?

Marco Tylinski: Festzustellen ist einmal zunächst, dass sowohl das Setup als auch die Betreuung während der Vorstellungen wesentlich komfortabler von der Hand gehen. Die Verkabelung habe wir via DANTE realisiert, was natürlich Unmengen analoger Multicores einspart und im Grunde auch viel übersichtlicher ist. Es gehen pro Doppel- bzw. Vierfach-Empfänger lediglich zwei RJ45-Leitungen an die Ethernet-Switches. Ein Kabel dient dabei als Redundanz. Wir haben zwar die Funkstrecken für die Solisten für den absoluten Havarie-Fall noch zusätzlich analog verkabelt, aber das ist im Grunde eher zur eigenen Beruhigung…

27 ULX4D-Doppelempfänger und drei ULX4Q-Vierfach-Units ergeben insgesamt 66 im Einsatz befindliche Sendestrecken27 ULX4D-Doppelempfänger und drei ULX4Q-Vierfach-Units ergeben insgesamt 66 im Einsatz befindliche SendestreckenIm laufenden Betrieb ist die unglaublich stabile Empfangssituation bemerkenswert. Wir können trotz der großen Entfernung zur Bühne ein einfaches Diversity-Setup mit zwei aktiven Richtantennen fahren und haben immer auf allen Kanälen vollen HF-Pegel. Aber selbst, wenn der HF-Pegel absinken würde, verschlechtert sich das Audiosignal im Gegensatz zu analogen Wireless-Systemen nicht durch Rauschfahnen oder andere Artefakte. So lange der Empfänger das digitale Sendesignal erkennen kann, ist die Tonqualität immer gleichbleibend gut.

Benjamin Schultz: Ein weiterer Vorteil des digitalen Wireless-Systems ist auch, dass man problemlos viele Kanäle innerhalb des zur Verfügung stehenden Frequenzrasters unterbringen kann. Die Empfänger können im Grunde eine Intermodulation vom HF-Nutzsignal unterscheiden, da die Störfrequenz einen anderen Frequenz-Hub aufweist und die Sender ja immer mit gleichen (maximalen) Hub senden. Deshalb lässt sich theoretisch auch ein Frequenzraster in gleichmäßigen 350 kHz-Abständen fahren, wenn man will. Dieser Umstand ist für uns nicht ganz unerheblich, da wir immerhin 66 Sendestrecken im Einsatz haben.

Wofür benötigt ihr diese große Anzahl an Wireless-Strecken?

Benjamin Schultz: Wir haben in der Fledermaus 11 Solisten. Diese werden jeweils mit zwei Sendern und Mikrofonen ausgestattet. Einerseits natürlich aus Sicherheitsgründen und zum anderen auch aus klangästhetischer Sicht. Es gib ja sowohl die musikalischen Parts als auch Dialoge. Für Sprache bringen die HS6-Headsets von Teqsas oftmals die bessere Sprachverständlichkeit, während für den Gesang die Sennheiser ME4-Lavaliermikrofone ein natürlicheres Klangbild bieten. Die restlichen 46 Sendestrecken werden hauptsächlich für die Chormikrofonierung verwendet. Es gibt darüber hinaus noch einige Specials, wie z.B. ein im Bühnenbild installiertes MKE-2 für die auf der Bühne während der Gefängnis-Szene spielenden Musiker. Die vier letzten Empfänger dienen als Spare-Units für den Havariefall.

Wie habt ihr diese hohe Kanalzahl in den Vorjahren realisiert?

Marco Tylinksi: In den letzten Jahren hatten wir hauptsächlich die Shure UHF-R-Serie im Einsatz. Davor gab es auch einmal ein gemischtes Shure/ Sennheiser-System und noch früher nutzten wir vor allem die Sennheiser 3000/ 5000-Serie. Natürlich war es auch mit diesen analogen Systemen möglich, eine hochwertige und stabile Übertragung der Signale zu gewährleisten. Allerdings war der Aufwand um einiges höher. Neben einer ausgefeilten Berechnung des Frequenzrasters mussten wir auch teilweise mit mehreren Antennen-Systemen arbeiten und hatten Unmengen an analogen Multicores zur audiomäßigen Verkabelung verlegt. Die 11 Stunden Akkulaufzeit der ULXD1-Sender sind zudem ein großer Vorteil, da die Maskenzeiten ja bis zu 3 Stunden vor Vorstellungsbeginn sind. Das ist schon beruhigend, wenn gegen Ende der Vorstellung die Batterieanzeige am Empfänger noch immer im grünen Bereich ist. Da können die meisten analogen Taschensender nicht mithalten.

Benjamin Schultz an seinem ArbeitsplatzBenjamin Schultz an seinem ArbeitsplatzKönnt ihr mir Euren Workflow hier im Radioraum beschreiben?

 

Benjamin Schultz: Marco kümmert sich hauptsächlich um die ganzen Sendestrecken, d.h. Vorbereiten, Check und Verteilen der Taschensender, Überwachung des HF-Pegels, usw.. Mein Part ist, die jeweils zwei Solistenmikrofone über das Yamaha CL1 vorzuhören und entsprechend das bessere auszuwählen und nach oben zum FoH-Pult zu schicken. Zudem erstelle ich über das zweite Pult (Yamaha LS9) die Vormischung des Chores auf vier nach Stimmgruppen geordneten Stereosummen. In den Vorjahren war diese Arbeitsweise schon alleine aus Kapazitätsgründen absolut notwendig. Dieses Jahr wäre es natürlich auch denkbar gewesen, via DANTE alle Einzelsignale zum FoH-Pult zu schicken. Wir haben es dennoch so beibehalten, denn zum einen entlastet es die Kollegen am FoH, wenn sie sich nicht auch noch um eventuell ausgefallene oder raschelnde Lavalier-Mikrofone kümmern müssen, und zum anderen wäre ein in diesem Fall notwendiger Tausch des betroffenen Mikrofons schon alleine aus Kommunikationsgründen schwer vom FoH aus zu managen.

Erwähnenswert ist vielleicht auch noch, dass wir hier vom Radioraum aus den Soundcheck machen. Es gibt dieses Jahr eine Art „Vorprogramm“, wo Besucher, wenn sie wollen, auf der Bühne Walzer tanzen können. Deshalb kann zur benötigten Zeit keine Tonprobe auf der Bühne stattfinden –  also machen wir das von hier.

Noch ein Wort zu DANTE: War es in diesem komplexen System schwierig, den Überblick zu behalten?

Zitatkasten

„Ich war anfangs ebenfalls skeptisch, aber schlussendlich dann doch positiv überrascht, wie gut das mit nur 18 Fadern funktioniert“

Interview mit Martin Wurmnest und Erwin Liebscher

Benjamin Schultz: Überhaupt nicht. Alle Signale laufen sternförmig hier im Radioraum auf die beiden Switches. Neben den Ausgängen der Wireless-Empfänger eben auch die I/Os der drei Yamaha Rio 1608-Stageboxen im Orchesterraum. Dort befinden sich auch die Endstufen für die Lautsprecher. Zum FoH selbst gehen dann lediglich noch die CAT5-Leitungen für die beiden Pulte (Yamaha CL1 und CL5) und den Bedienrechner mit der installierten Audinate Controller-Software. Da alle Geräte an diese Software ihre I/Os mit eindeutiger Beschriftung übermitteln, ist das Setup und das Patching denkbar übersichtlich und einfach.

An Erwin Liebschers CL5 laufen schließlich alle Signale zusammenAn Erwin Liebschers CL5 laufen schließlich alle Signale zusammen

Ihr arbeitet hier an zwei getrennten Pulten, wie sieht die Arbeitsteilung aus?

Erwin Liebscher: Martin ist für den Orchestermix zuständig und übergibt mir diverse nach Instrumentengruppen aufgeteilte Sub-Mixes. Bei mir laufen dann sozusagen alle Signale zusammen, d.h. neben dem Orchester natürlich die Wireless-Mikrofone der Solisten und die Chor-Vormischungen. Die Signale verteile ich dann über das Pult und die nachgeschaltete DME64-Matrix auf das Monitoring und fahre die Beschallung. Grundsätzlich bekomme ich die Vormischungen und Einzelsignale immer aufs Pult, unabhängig davon, ob ein bestimmter Darsteller gerade auf der Bühne ist oder nicht bzw. gerade eine Chorszene stattfindet.

Wie verwendest Du dabei die Szenen-Automation des CL5?

Erwin Liebscher: Ich habe in der Tat gar keine Szenen programmiert, sondern fahre alles per Hand. Bei den Proben hatte ich mich einfach mit dem Textbuch drangeheftet und das hat gut funktioniert. Ich habe bei den Vorstellungen gern meine Augen auf der Bühne, gucke, was da so passiert und fahre dann die Signale per Hand mit.

Ich bin etwas erstaunt, dass Euch für die Mischung eines Orchesters die Pultoberfläche  des CL1 ausreicht!?

Martin Wurmnest: Ich war anfangs ebenfalls skeptisch, aber schlussendlich dann doch positiv überrascht, wie gut das mit nur 18 Fadern funktioniert. Man kann sich beim CL1 sehr flexibel DCAs auf die Oberfläche legen und hat damit schonmal einen direkten Zugriff auf die einzelnen Instrumentengruppen. Wenn man mal wirklich auf ein einzelnes Mikrofon zugreifen muss, wechselt man dann eben kurz den Layer und kann so auch relativ schnell eingreifen.   

Ist es für Dich vorteilhaft, dass das Orchester akustisch abgetrennt hinter Plexiglas sitzt?

Martin Wurmnest: Einerseits ist es natürlich von Vorteil, da man kein Übersprechen mit dem Bühnengeschehen und der Beschallung hat. Auf der anderen Seite klingt der kleine Raum relativ muffig, so dass man z.B. mit geänderter Mikrofonierung darauf reagieren muss.

Wie hast Du das Orchester demnach mikrofoniert?

Martin Wurmnest: Da ich in den letzten Jahren festgestellt habe, dass bestimmte Instrumentengruppen, z.B. die Blechbläser, aufgrund ihrer Lautstärke ein zu starkes Übersprechen in andere Mikrofone verursachen, habe ich mich dieses Jahr für eine gemischte Mikrofonierung entschieden. Das bedeutet, dass neben den abgehängten Nierenmikrofonen für einzelne Gruppen z.B. auch DPA 4099-Clipmikrofone für die Streicher oder diverse Großmembran-Condenser für wichtige Einzelinstrumente zum Einsatz kommen. Insgesamt komme ich dabei auf rund 41 Signale.   

Wie seid ihr an das Beschallungskonzept und das Klangdesign für das Stück herangegangen?

Erwin Liebscher: Anfangs hatten wir neben den beiden d&b Q1-Arrays links und rechts neben der Bühne die weiter außen installierten T10-Systeme als Ortungszonen gedacht. Da jetzt bis auf eine Ausnahme keine szenischen Vorgänge außerhalb der Hauptspielfläche stattfinden, nutzen wir diese um das Orchester breiter zu mischen –  so können wir auch die Stimmen besser im Mix einbetten. Im Portal-Bogen sind dann weitere Systeme zur Mittenortung installiert – wie alle übrigen Lautsprecher sind diese auch unsichtbar im Bühnenbild integriert. Dazu kommen noch die Q7-Nearfills, sowie die Subsysteme, bestehend aus zwei Q-Sub-Stacks in CSA-Anordnung und zwei B2-Subs unter der Tribüne als Infra-Erweiterung.

Martin Wurmnest: Dazu kommen noch diverse im Zuschauerbereich verteilte Surround-Lautsprecher, mit welchen wir einen räumlicheren Eindruck des Orchesters und der Stimmen herstellen. Ich nutze dafür vor allem ein Waves RenaissanceVerb und Erwin die internen Effekte des CL5.

Ihr nutzt zusätzlich das TiMax-Tracker-System für die Ortung der Darsteller?

Erwin Liebscher: Ja, wir haben ursprünglich 12 Zonen eingerichtet, das TiMax-System funktioniert ja sozusagen dreidimensional, d.h. auch auf der vertikalen Ebene, haben das im Laufe der Proben aber stark reduziert. Im Endeffekt sind jetzt nur noch drei Hauptzonen plus ein Seitenbereich für eine Szene übriggeblieben, da sich das Bühnengeschehen immer zentral abspielt. Wir haben darauf geachtet, dass wir ein Grundsetup haben, wo die Lautsprecher in den Zonen immer gleiche Pegel haben und gleich klingen. Die Ortung wird vornehmlich über die Laufzeiten realisiert, pegelmäßig ändern sich eigentlich nur die Near-Fills. So verhindern wir, dass uns das Tracker-System den Mix zerstört und wir trotz der Richtungsinformationen auf allen Plätzen gleichmäßige Pegel haben.

Autor/Fotos: Martin Person