Pukkelpop: Trauriges Ende eines Festivals. Foto: Getty ImagesDas Pukkelpop ist der traurige Tiefpunkt einer Serie von tragischen Unfällen:Nach den gehäuften Einstürzen von Open-Air-Bühnen mit vielen Todesopfern in diesem Jahr stellen sich viele Fragen. EventElevator hat Statik-Experte zu diesem Thema befragt. Michael Lück befragt. Er ist neben seiner leitenden Funktion bei Expo Engineering ein gefragter Dozent bei vielen Aus- und Weiterbildungsanbietern der Veranstaltungstechnik.
EventElevator: Warum häuft sich diese Art von Unglücken diesen Sommer?
Michael Lück: Kollabierende Bühnen gibt es jedes Jahr! Glücklicherweise sind jedoch selten Verletzte oder sogar Tote zu beklagen, so dass nicht alle Unfälle in die Medien gelangen. Es wäre erst einmal genauer zu recherchieren, ob es eine Häufung gibt. In gewissen Zyklen ereignen sich schwere Stürme (Hier gibt es dazu einen sehr lesenswerten Aufsatz über Sturmschäden).
Dennoch gibt es einen Umstand, der die heutigen Produktionen von denen der Vergangenheit unterscheidet: Es werden gehäuft LED-Wände in Teile der Bühnenkonstruktion eingehängt. Dabei geht es weniger um das Gewicht der Wände, sondern darum, dass sich diese Windangriffsflächen nicht ohne weiteres bei aufziehendem Sturm entfernen lassen. Bei einer Membran-Bespannung gibt es Möglichkeiten, die Wände (Rückwand, Seitenwände) „abzutakeln“. Dieses Prozedere wird bei fast allen Bühnenkonstruktion bereits bei der Erstellung der Statik angesetzt um die Windlast zu reduzieren. Die Bühne bleibt bis zu Windstärke 8 (= 20 m/s) mit Wänden in Betrieb und dann wird „abgetakelt“ – das heißt alle Wände müssen raus, nur die Dachbespannung bleibt. Die LED-Wände könnten also möglicherweise einen Einfluss haben. Auf YouTube kursiert beispielsweise ein Video einer pendelnden LED-Wand, die schließlich zwei Gerüsttürme umwirft. Da hat eine mangelhafte Befestigung der Unterkante zum Unglück geführt.
EventElevator: Ist möglicherweise der Klimawandel dafür verantwortlich?
Michael Lück: Die Standsicherheit einer Bühne ist in hohem Maße abhängig von der Windgeschwindigkeit. Die Geschwindigkeiten des Windes sind bei heutigen Stürmen auch nicht höher als in der Vergangenheit. Die Häufigkeit wäre aber – wie bereits gesagt – zu untersuchen, denn die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens eines Sturmes und einer Bühne würde dann größer. Das ist aber eine Frage, die ehr ein Meteorologe denn ein Ingenieur beantworten kann
EventElevator: Wer überprüft solche Bauten? Wie unterscheiden sich amerikanische von europäischen Vorschriften?
Michael Lück: In Deutschland gibt es durch die Bauordnungen geregelte Verfahren. Es bedarf einer Ausführungsgenehmigung für Fliegende Bauten, um sie betreiben zu dürfen. Dieser amtlichen Genehmigung liegen geprüfte Bauvorlagen (Statik, Zeichnungen, Materialzertifikate etc.) zugrunde. Die Bauvorlagen dürfen dabei nur von akkreditierten Institutionen geprüft werden – in der Regel sind das die TÜVs. Die Ausführungsgenehmigungen kommen dann von der oberen Bauaufsicht. Wir geben dazu auch Informationen auf unserer Homepage im Download-Bereich: www.expo-engineering.de.
Zukünftig werden bereits bestehende Europäische Normen auch in Deutschland rechtsverbindlich angewandt. In USA ist die Rechtslage nicht eindeutig geregelt. Wir haben aber über einen unserer amerikanischen Kunden von Anstrengungen gehört, dass ein dem deutschen Prozedere ähnliches Verfahren angestrebt wird.
EventElevator: Was wird sich durch die Unfälle ändern?
Michael Lück: Eines ganz sicher: Der Respekt vor der real vorhandenen Gefahr! Nicht selten sprechen wir mit Kunden, die es allzu leicht nehmen mit der Ballastierung, der Aussteifung und anderen sicherheitsrelevanten Komponenten einer Bühne. Genauso beobachte ich aber auch, dass durch Verbesserung der Qualifikation der Veranstaltungstechniker auch die Sicherheit bei der Ausführung auf einem guten Weg ist. Als Dozent in der Rigging- und Meisterausbildung nehme ich mir immer etwas Zeit auch außerhalb des Unterichtsplans etwas zu Wind und seinen Effekten zu sagen – das wird mit offenen Ohren aufgenommen.
Ob die Behörden sich rühren werden, ist fraglich. Die letzte große Änderung in Sachen Wind und Bühnen gab es im März 2007 in der 66. Sitzung der Argebau in welcher die bereits beschriebenen Prozedere des „Abtakelns“ bei Windstärke 8 festgelegt wurden. Auch hier kann man sich in unserem Downloadbereich informieren.
EventElevator: Was sollte sich ändern?
Michael Lück: Die Tatsache, dass nicht nur Bühnen umstürzen, sondern auch Bäume , zeigt dass nicht nur konstruktive Maßnahmen bei den Bühnen Sicherheit schaffen können, sondern auch organisatorische Maßnahmen erforderlich sind. Generell hat auch jedes fest installierte Tragwerk sein Limit. Die Dimensionierung der Tragwerke erfolgt nach DIN 1055 Teil4 – die Wahrscheinlichkeit, dass die angesetzten Windlasten überschritten werden ist gering, aber immer noch vorhanden. Jeder hat auch schon einmal von herabfallenden Dachpfannen gehör. Man kann nicht alles 100% sicher machen. Eine Wettervorhersage ist heute sehr leicht und aktuell zu bekommen, so dass der Bühnenbetrieb rechtzeitig eingestellt werden kann und gefährdete Bereiche geräumt werden können. Auch die konstruktiven Maßnahmen wie „Abtakeln“, oder zusätzliche Abspannungen sind in diesem Fall noch machbar.
Ist der Sturm erst einmal da, sollte niemand mehr im Gefahrenbereich stehen. Voraussetzung dafür ist aber ein im Vorfeld gut geplantes Prozedere – dafür gibt es Fachleute. Ein wichtiger Punkt ist die Unterstützung der jeweils Verantwortlichen – die Entscheidung ein Bühnenprogramm abzubrechen, oder gar Bereiche zu evakuieren ist schwer und wird nicht nur auf Zustimmung treffen. Hier treffen verschiedene Interessen aufeinander, die durchaus begründet sind – dennoch: die Sicherheit von Leib und Leben muss stets Priorität haben. Nahezu haarsträubend sind häufig Bühnenkonstruktionen, die nie statisch berechnet wurden. Es sollte jedem veranstaltungstechnischem Betrieb klar sein, dass man nicht nach gutdünken Traversen zu einem Tragwerk im Außenbereich zusammenbauen darf, ohne fachmännische Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Michael Lück
Kurzprofil1966 in Dortmund geboren
1988 – 1994 Maschinenbaustudium mit Abschluss zum Diplom Ingenieur
1995 – heute Inhaber des Ingenieurbüros Expo Engineering
Autor der Bücher:
Mechanik in der Vearnstaltungstechnik
Praxis des Riggings (mit Chris Böttger)
Michael Lück ist neben seiner leitenden Funktion bei Expo Engineering ein gefragter Dozent bei vielen Aus- und Weiterbildungsanbietern der Veranstaltungstechnik. Er engagiert sich ehrenamtlich in Arbeitskreisen des VPLT, der igvw und der VBG.
www.expo-engineering.de