Mit Schrecken wurde in unserer Branche die Nachricht aufgenommen, dass auch das 700-MHz-Frequenzband dem Mobilfunk zum Opfer fallen soll. Jedenfalls wurde diese Möglichkeit auf der World Radiocommunication Conference 2012 (WRC-12) beschlossen. EventElevator berichtet von den ersten Reaktionen der betroffenen Mikrofonhersteller und hat Jochen Mezger vom Institut für Rundfunktechnik zu den Hintergründen interviewt.
Auf der am 17. Februar 2012 zu Ende gegangenen Weltfunkkonferenz wurden weitreichende Entscheidungen für das Antennenfernsehen getroffen. Aufgrund des massiven Drucks arabischer und afrikanischer Staaten kam es völlig überraschend zu einer gleichberechtigten Frequenzzuweisung an den Mobilfunk im Rundfunkfrequenzbereich 694 – 790 MHz in der gesamten Funkregion 1 (Europa und Afrika). Die definitive Entscheidung soll auf der nächsten WRC im Jahr 2015 fallen.
Audio-Technica: Blick in beide Richtungen
Alexander Lepges von Audio-Technica kommentiert diesen Vorgang folgendermaßen: „Wir versuchen schon heute mit unseren Kunden den Frequenzbereich unterhalb von 694 MHz zu nutzen, aber gerade für den mobilen Betrieb ist ja eben der Bereich 710 – 790 MHz vorgesehen. Momentan gilt es weiter, unseren Beitrag zur Arbeit im APWPT zu leisten, die mit der Einsetzung einer Studie über den Bedarf unserer Branche während der WRC 2012 zumindest einen Teilerfolg erzielen konnte (Bislang wurden wir gelinde gesagt nicht wahrgenommen). Zeitgleich arbeiten wir an Lösungen in den alternativen Frequenzbereichen, die aber – zum heutigen Zeitpunkt – alle mit mehr oder weniger großen Einschränkungen einhergehen. Es ist klar, dass der UHF-Bereich der TV-Kanäle 21 – 60 (470 – 790 MHz) zur Zeit die besten Möglichkeiten für professionelle Produktionen, wie die Olympischen Spiele bietet, aber auch die einfachste Anwendung mit nur wenigen Funkmikrofonkanälen kann es sich nicht leisten, in einen potenziell gestörten Frequenzbereich oder einen mit schlechten physikalischen Eigenschaften gedrängt zu werden. Wir werden in beide Richtung schauen müssen: Die Erhaltung von soviel Spektrum wie möglich und angemessene Lösungen in anderen Bereichen.“
WRCDie Weltfunkkonferenz (englisch World Radiocommunication Conference [WRC]) entscheidet auf internationaler Ebene über die Belange des Funkwesens. Veranstalter der Weltfunkkonferenz ist die Internationale Fernmeldeunion (ITU), eine Unterorganisation der Vereinten Nationen. Teilnehmer sind die ITU-Mitgliedstaaten. In Deutschland ist die für das Funkwesen zuständige Behörde das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) mit der BNetzA im Geschäftsbereich. Das BMWi hat zur Vorbereitung der WRC die vom BMWi selbst geleitete Nationale Gruppe zur Vorbereitung der Weltfunkkonferenz (NG) eingerichtet. Die an einer WRC ebenfalls teilnehmenden Interessenvertreter von Frequenznutzern oder der Industrie, wie zum Beispiel NATO, EBU oder IARU, haben keine eigene Stimme.Dré Klaassen, war als Mitglied der Niederländischen Delegation und als Präsident des APWPT vor Ort und kommt zu dem Schluss, „dass es eine zweite Digital Dividende in Afrika, Europa und dem Mittleren Osten im Frequenzbereich 694 – 790 MHz geben wird. Unklar ist der Zeitrahmen – aber wir erwarten sie nicht früher als 2020. Welche Länder diese zweite Digitale Dividende implementieren ist unklar, da die Studien zu unterschiedlichen Ergebnissen in unterschiedlichen Ländern kommen können. In Deutschland ist zum Beispiel der Bereich 710 – 790 MHz für professionelle Anwender von Funkmikrofonen als bevorzugter Frequenzbereich festgelegt worden, was eine Lösung äußerst komplex gestaltet.“
„Überdies ist es nicht gesagt, dass der Verlust von Spektrum an der Grenze von 694 MHz stoppen wird“, so Klaassen weiter, „oder ob die andere Studie als Ergebnis eine weitere Erweiterung des Spektrumbedarfs für die Telekommunikationsindustrie als Ergebnis haben wird. Der APWPT wird aktiv innerhalb der ITU an diesen Studien mitarbeiten, um das bestmögliche Ergebnis für Funkmikrofonanwender zu erzielen, aber dies wird ein hartes Stück Arbeit, da der Fokus der Administrationen eindeutig auf dem Bedarf der mobilen Breitbandversorgung liegt.“
beyerdynamic: Drahtlose Zwei-Klassen-Gesellschaft
Vom Heilbronner Mikrofonhersteller beyerdynamic erreichte uns folgendes Statement: „Eine verbindliche Empfehlung abzugeben ist derzeit leider unmöglich. Es ist aber anzunehmen, dass aufgrund der Sekundärnutzung für Drahtlossysteme zukünftig auch in diesem Frequenzbereich mit starken Beeinflussungen zu rechnen ist oder dieser ganz entfallen könnte. Andere Frequenzbereiche wie z.B. die LTE800 Mittenlücke (821-832MHz) oder der 1,8-GHz-Bereich sind nicht als Ersatz für den Verlust durch die Digitale Dividende 1 und 2 anzusehen, sondern als Ergänzung. In diesen Bändern herrschen andere Bedingungen als im UHF-Bereich, so dass der Betrieb und die Anwendbarkeit von Systemen in diesen Bereichen vom Einzelfall abhängt. Ein professioneller und störungsfreier Einsatz von drahtlosen Mikrofonen ist in diesen Bereichen nicht gewährleistet.
Enttäuschend wirkt die Aussicht, dass Drahtlossysteme in Zukunft zu einer Art Zwei-Klassen-Gesellschaft verkommen könnten. Auf der einen Seite der professionelle Anwender, der für den Einsatz von Drahtlosstrecken bezahlen muss und keine Funktionsgarantie für die Zukunft hat. Auf der anderen Seite der Hobbyanwender, dem kein zu hundert Prozent verlässliches und gebührenfreies Drahtlossystem offeriert werden kann. Wohin geht die Reise? Das kann heute noch kein Hersteller drahtloser Systeme sagen. Diese Entscheidung wird in ganz anderen Ebenen getroffen.“
Sennheiser: Keine Veränderung vor 2020
Norbert Hilbich von Sennheiser erwartet keine Änderung vor 2020: „Die jetzige Nutzung des UHF Spektrums durch drahtlose Produktionsmittel ist geregelt durch nationale Frequenzzuweisungen. Diese wird, nach Erkenntnissen aus der Vergangenheit, bis deutlich über 2015 hinaus Bestand haben – in der aktuellen Diskussion ist vom Jahr 2020 oder später die Rede. Begründung: kommt es auf der WRC 2015 zur 700 MHz Spektrumzuweisung für einen anderen Nutzer, dann muss eine Umsetzung in nationales Recht erfolgen, welches in Europa mit einer Fristenregelung verbunden ist. In Deutschland müsste nach einem WRC-Beschluss die Frequenzbereichszuweisungsverordnung überarbeitet werden. Dieser muss von den Ländern im Bundesrat zugestimmt werden. Damit ist die Regelung der Kostenübernahme verbunden, die zwischen Bund und Ländern ausgehandelt werden muss. Das ist so in der Neufassung des TKG festgehalten worden.
Die Bundesnetzagentur in BonnAnhand der Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung erstellt die Bundesnetzagentur einen neuen Frequenznutzungsplan, der in der Folge zu der Versteigerung des Spektrums führen kann. Parallel befasst sich das europäische Parlament mit dieser Sachfrage und versucht eine europäische Lösung festzulegen. Da es aber keine europäische Frequenzverwaltung gibt, ist die Zustimmung der Mitgliedsländer und eine nationale Umsetzung erforderlich.
Drahtlose Produktionsmittel werden kontinuierlich weiterentwickelt und können sich langfristig auf eine geänderte Frequenznutzungssituation einstellen. Voraussetzung ist jedoch eine stabile Planungssituation, die u. a. die durch die WRC angestoßenen Studien und der Beschluss der nächsten WRC schaffen sollen.
Für die heutigen Nutzer drahtloser Produktionstechnik ändert sich kurzfristig nichts. Mittel- und langfristig müssen sich die Interessenvertreter der Nutzerverbände intensiv engagieren, um ihre Interessen für die Zukunft zu sichern – noch sind alle Optionen offen! Dafür wird eine Kooperation mit dem Rundfunk und dem politisch-technisch orientierten Spektrums-Nutzerverband APWPT empfohlen.“
IRT: Fürchterlicher Frequenzhunger
EventElevator hat sich zudem mit Jochen Mezger unterhalten, Geschäftsfeldleiter Programmverbreitung am Institut für Rundfunktechnik (IRT) in München. Er klärt über die Hintergründe der Entscheidung auf und liefert Erklärungen sowie Alternativen für den scheinbar unstillbaren Frequenzhunger der Mobilfunkindustrie:
Die Fragen im Einzelnen (Per Klick direkt zur richtigen Stelle im Video): www.irt.de www.apwpt.orgAutor: Markus Wilmsmann