Seit rund 20 Jahren wird mit dem Klassik am Odeonsplatz-Event Münchens wohl schönster „Open-Air-Konzertsaal“ unter den Bayerischen Himmel gezaubert. Das Sommer-Event im Altstadtzentrum steht für klassische Musik auf Topniveau, genauso wie die dazu verwendete Audiotechnik.
Sound Design für ein Open-Air-Konzertsaal direkt der City
Auch 2019 war Neumann&Müller Veranstaltungstechnik (N&M) für die technische Umsetzung verantwortlich. Federführend für das anspruchsvolle Sound Design sowie Bühnenbau und Lichttechnik am geschichtsträchtigen Platze ist seit den ersten Aufführungen Rudolf Pirc von N&M. Seit der ersten Stunde ist er mit Leidenschaft dabei, denn es sind gerade diese, nicht alltäglichen Sound Designs, großer Klassik-Konzerte die seine Innovationslust wecken. Und so versucht er mit seinem eingespielten Technikteam, an jedem Stellschräubchen der Klangqualität zu drehen. Nur so kann er das Erlebnis für die 16.000 audiophilen Klassikbegeisterten jedes Jahr noch eindrucksvoller gestalten.
Als Neuzugang bei der Hauptbeschallung entschied er sich dieses Jahr für die aktuelle KSL-Serie von d&b audiotechnik und für die objektbasierte Beschallung kam wie im Vorjahr die DS100 Signal Engine zum Einsatz. In Verbindung mit den Impulsantworten aus dem Vivace System ließ man so an den zwei Konzerttagen eine perfekte virtuelle Raumakustik vor monumentalen Feldherrnhalle erklingen.
Im Nahbereich kamen in München dafür zwölf d&b Y7 Lautsprecher zum Einsatz. Für den von N&M definierten Midfill-Bereich wurden auf ungefähr 10 Meter Höhe unter den Rundbögen der Feldherrnhalle sechs d&b T10-Arrays (zur Abdeckung der ersten 40 Meter) positioniert. Als Neuzugang für die Hauptbeschallung wurden Line-Arrays mit je elf KSL8 an Manitou-Kränen links und rechts neben der Feldherrnhalle gehängt. Das Ganze wurde mit SL-GSUBs am Boden sowie mit Delays aus der d&b V– und Y-Serie komplettiert. Für den Raumklang im Publikumsbereich wurden weiterhin 32 d&b Y10P Speaker verteilt, die Konzertsaal-Simulation für das Orchester innerhalb der Halle ist mit weiteren 28 LS-Systemen realisiert.
„Wir sind glücklich, dass wir dieses Jahr das KSL-System verwenden können, da wir jetzt viel weniger rückwertige Beschallung zu hören bekommen“, zeigt sich Pirc von dem neuen KSL-System überzeugt und fügt an: „Wir bekommen dadurch mehr Headroom, können mehr Druck nach Vorne raus machen. Stichwort: erste Wellenfront, wo wir dann unsere Delays optimal draufsetzen können und auch in 160 Metern noch richtig gut ankommen.“
Und der Produktionsleiter würde sogar gerne das größere GSL-System verwenden: „Für das Sound Design wär ein GLS System auf Grund der Beschallungsdistanzen noch passender, ist aber wegen der fehlenden Traglast der Hängepunkte derzeit nicht einsetzbar. Aber auch mit der KSL bin ich sehr happy. Vor allem was sie uns an Leistung mittels ausgeglichenem Array-Processing bis in die letzten Reihen transportiert.“
Nicht nur klanglich, auch beim Rigging bietet das neu hinzugekommene KSL-System Vorteile. Durch die vielen Pflastersteine und den schiefen Altstadtboden der Fußgängerzone links und rechts an der Feldherrnhalle, war das optimale Hängen des Hauptsystems an den Manitou-Kränen in den Vorjahren immer ein aufwendiger Prozess.
„Früher war es so, dass wir uns beim Hochfahren oft verkantet haben, mit dem neuen Kompression-Mode der KSL war es dieses Jahr ein Traum. Es ist leicht zu handeln, man braucht nicht unbedingt vier Leute. Es funktioniert auch zu zweit oder sogar alleine“, erklärt Joseph Schmidbauer, Systemtechniker von N&M und Michael Hartl, ebenfalls N&M-Systemtechniker ergänzt zur Abdeckung: „Wenn man das Feld im vorderen Bereich abgeht fällt auf, dass die KSL erst 40 Meter nach der Bühnenkante im Publikum beginnt und davor eigentlich nicht vorhanden ist. Sie ist so auf jeden Fall prädestiniert für Klassik und die Bedingungen an diesem Platz.“
Objektbasierte Mischung per DS100 & Raumklang-Umsetzung
Die ersten Erfahrungen mit der DS100 Engine konnte das N&M Sound-Team bereits bei den letztjährigen Klassik Open Air Produktion im Kloster Ettal sammeln. Die guten Tests, bei dem vergleichsweise kleinen Konzert, waren der Startschuss, die Technik im großen Stil im vergangen Jahr und 2019 am Odeonsplatz einzusetzen. „Wir haben früher schon mit Ortungspositionen innerhalb unserer Beschallung gearbeitet, die DS100 bietet uns aber jetzt die Möglichkeit, das alles viel feiner in unsere verschiedenen Bereiche Nearfill, Midfill, Hauptbeschallung und Delays aufzulösen. Was du siehst, hörst du auch: das ist immer die Herausforderung bei gleichzeitig möglichst natürlichen Klang, so wie es der Besucher auch aus dem gutem Konzertsaal gewöhnt ist. Über die Jahre haben wir das immer mehr perfektioniert“, erklärt Produktionsleiter Pirc.
Dass die Tonmischung bei diesem komplexen Sound-Setup so gut funktioniert, liegt auch am über die Jahre perfektioniertem Teamwork von Tonmeister Jörg Moser (Bayerischer Rundfunk), Audio Engineer Michael Kennedy (B.A.(Mus.)) und Gunter Engel (Müller-BBM), der für die Raumklang-Simulation verantwortlich ist. Michael Kennedy, der den für die Orchestermischung verantwortlichen Tonmeister Jörg Moser am FoH-Platz technisch unterstützt, hat die neu gewonnene Lokalisation mit der DS100 überzeugt: „Es eine interessante Sache, dass wir hier eine lokalisierte Beschallung umsetzen. Und das Mischen ist tatsächlich anders. Man hat weniger Bedarf die lauten Stellen zurück zu nehmen und die leisen Stellen höher zu stellen. Die Lokalisation funktioniert erstaunlich gut und man nimmt die Beschallung gar nicht mehr war. Es ist, als würde sie direkt von der Bühne kommen. Es ist extrem natürlich. Man hat nicht mehr viel Bedarf, in die Dynamik einzugreifen.“
Für die DS100 Engine baut er am für das Mixing verwendeten Yamaha Rivage PM7 keine Summen mehr, sondern schickt jeden Kanal-Ausgang, beziehungsweise jedes eingesetzte Mikrofon, direkt zum DS100 System, wo es dann durch das interne Prozessing platziert wird. „Die einzige Einschränkung, die wir haben, ist die Anzahl der Eingänge an der DS100, die sich auf 64 beläuft. Bei einem Klassikkonzert stößt man da natürlich an die Grenzen. Und so müssen wir beim Orchester bestimmte Instrumente zusammenfassen, die räumlich nah beisammen sind.“
Ein Technikaufwand, der sich seiner Meinung nach hundertprozentig lohnt: „Wer einmal Erfahrungen beim Mischen einer objektbasierten Beschallung gemacht hat und insbesondere in Verbindung mit dem Raumklang, der möchte nichts mehr anderes haben“, ist der FoH-Techniker überzeugt.
Vivace gibt die richtigen Inpulsantworten
Perfekter Konzertsaal-Raumklang selbst bei einem Open Air, für diesen Zweck optimiert Gunter Engel (Dipl. Phys., Dipl.-Tonmeister) von Müller-BBM bei Klassik am Odeonsplatz die Impuslantworten mit der Raumklangsimulation Vivace. Denn während die DS100 Engine den Richtungsbezug für die Mikrofonobjekte über Frontfill, Midfill und Hauptbeschallung (inkl. Delayline-Arrays) herstellt, erzeugt das Vivace System Raumklangsignale für alle installierten Surround-Lautsprecher am Platz sowie zusätzlich für die Orchestermuschel-Lautsprecher auf der Bühne. Der Nachhall für die Hauptbeschallung wird vom Vivace System erzeugt und über die DS100 System auf Frontfill, Midfill und Hauptbeschallung verteilt.
Bei Vivace handelt es sich um ein elektronisches Raumakustik und spezielles 3D-Audiosystem mit bis zu 192 Ein- und Ausgänge via MADI. Mit ihm kann man vielkanalige Raumklanggestaltung auf Basis von Impulsantworten umsetzen. Auch bei Klassik am Odeonsplatz kommen unterschiedliche Hallräume zum Einsatz. „Wir setzten hier gleich mehrere Konzertsäle um, etwa eine Simulation für den gesamten Platz, weiterhin einen kleineren, der auf der Hauptbeschallung gerechnet wird – als verbindendes Glied sozusagen, erklärt Gunter Engel und fügt an: „Zusätzlich gibt es noch eigene Hallräume für ganz bestimmte Solopositionen, wie beispielsweise den Gesang.“
Klassik am Odeonsplatz wird veranstaltet von der Landeshauptstadt München und dem Bayerischen Rundfunk; Generalunternehmer der Produktion ist die Münchner Eventagentur PRO EVENTS.