Ich komme nie zu früh! Markus Zehner über den Alltag eines Akustikplaners

Markus Zehner

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Markus ZehnerWenn ich mich mit Kollegen unterhalte, die sich ebenfalls mit akustischen Planungen beschäftigen, kommen oft die frustrierenden Erfahrungen zur Sprache, die man macht, weil die Bauherren zu spät an die Akustik denken und man dann nur noch Flickwerk betreiben kann. Anhand von zwei Beispielen, erörtere ich hier, weshalb man gar nicht früh genug an den Beizug eines Experten denken kann.

Beispiel 1: Der Architekt und sein Akustiker

Der Kunde baut ein Haus und möchte darin einen hochwertigen Musikraum einrichten. Es handelt sich um die Erfüllung eines Jugendtraums und dem gut betuchten Kunden sind jegliche Mittel recht. Also vertraut er seinem Architekten (Fehler Nummer 1). Als dieser realisiert, dass es der Kunde wirklich ernst meint, zieht er einen Akustiker bei. Das ist an sich eine gute Idee. Nur dass der engagierte Hausakustiker des Architekturbüros von hochwertigen Musikräumen keinerlei Ahnung hat, beschäftigt er sich doch sonst ausschliesslich mit der Raumakustik von Büros und öffentlichen Bauten (Fehler Nummer 2).

Der Mann scheint dem Bauherrn aber auf den ersten Blick trotzdem gut geeignet, weil der Akustiker nämlich selber Musiker ist (Fehler Nummer 3). Als solcher weiss er natürlich, dass schwingungsfähige Systeme (z.B. eine Saite einer Geige) derart resonieren, dass sich eine Grundschwingung und ganzzahlige Vielfache davon ausbilden. Daraus schliesst er, dass es eine gute Idee ist, den Raum so zu planen, dass Länge, Breite und Höhe in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen (Fehler Nummer 4). Jeder akustisch halbwegs bewanderte Mensch weiss, dass dies der akustische Super-GAU ist. Ja, das sollte sogar ein „Büroakustiker“ wissen.

Eine der Wände wird so geplant, dass sie um ca. 4 Grad angeschrägt ist (Fehler Nummer 5). Als Grund wird der Akustiker später angeben, dass damit stehende Wellen verhindert werden sollen. Nun ist es ein sehr weit verbreiteter Irrtum, dass sich stehende Wellen nur zwischen parallelen Wänden ausbreiten (s.a. FAQ Raumakustik); von jemandem, der „Akustiker“ auf seiner Visitenkarte stehen hat, dürfte man erwarten, dass er weiss, dass dem nicht so ist.

Das Bauvorhaben ist längst bewilligt, als dem Bauherrn, der selber einiges akustisches Vorwissen hat, Zweifel ob der Kompetenz des Fachplaners kommen. Als ich eingeschaltet werde, ist es bereits zu spät: An der grundlegenden Planung des Raums kann nichts mehr verändert werden.

Meine traurige Aufgabe ist es nun, die völlig verkachelten Grundvoraussetzungen geradezubiegen und die denkbar schlechte modale Struktur des Raums wenigsten einigermassen in den Griff zu kriegen. Das ist baulich kompliziert, teuer, zeitlich aufwändig und für alle Beteiligten äusserst nervenaufreibend. Selbst mit allem möglichen Einsatz ist aber schon zum vornerein klar, dass dieser Raum nie mehr wirklich akustisch gut werden kann.

Beispiel 2: Schräg ist sicher immer gut

Als ich gerufen werde, befindet sich das Tonstudio bereits im Rohbau. In der grosszügigen Regie finde ich die Situation vor, dass die eine Seitenwand schräg betoniert wurde. Weshalb erschliesst sich mir nicht ganz, aber vermutlich hat irgendwann, irgendjemand, irgendwo gelesen, dass dies aus irgendeinem Grund eine gute Sache sei. Nun, es ist ganz und gar keine gute Sache: Durch den asymmetrischen Grundriss der Schale entsteht auch eine asymmetrische Schallausbreitung, was sich vor allem im Bassbereich als sehr schlecht erweisen wird. Selbst mit einem beliebig erhöhten Aufwand an Planung, Zeit, Geduld und Geld ist dies nie mehr ganz zu korrigieren (auuser man würde die Wand einreissen): Wie auch immer man die inneren Schalen der Regie konstruiert, zusammen mit den äusseren Schalen wird sich immer eine Asymmetrie ergeben. Unlösbare Probleme sind damit schon vorprogrammiert, bevor man mit der Planung der Innenraumakustik überhaupt erst angefangen hat.

Was lernen wir daraus?

Stellen Sie sich vor, Sie haben Gäste eingeladen und Spaghetti mit Tomatensauce gekocht. Als Sie während dem Anrichten eine Gabel voll probieren, stellen sie mit Schrecken fest, dass die Pasta komplett versalzen und verkocht ist und die Fertigtomatensauce, die sie reingeschmissen haben, seit letztem Jahr abgelaufen ist. Wenn Sie ganz viel Glück haben, wohnt über Ihnen eine hochdekorierte Meisterköchin, die Sie zu Hilfe rufen können. Die Chance, dass diese noch das eine oder andere verbessern und Sie vor dem Totalabsturz retten kann, ist zwar durchaus intakt; aber richtig gut wird das sicher nie mehr. Besser Sie hätten schon am Vortag mal bei der netten Nachbarin angeklopft und sie um ein paar Tipps gebeten.

Mit ganz wenigen Ausnahmen habe ich in den letzten 5 Jahren keine Neubauprojekte betreut, bei denen ich nicht mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, die auf eine unzulängliche (Vor-)Planung zurückzuführen waren. Und in jedem einzelnen dieser Fälle, wäre es ein Einfaches gewesen, diese grundlegenden Fehler zu vermeiden – wenn man nur rechtzeitig gefragt hätte.

Ich werde oft darauf angesprochen, zu welchem Zeitpunkt man einen akustischen Fachplaner beiziehen sollte. Meine Antwort ist stets die gleiche: So früh wie irgendwie möglich! Man kann in dieser Hinsicht gar nicht zu früh dran sein.

Ganz besonders wichtig wird dies, wenn das Objekt als Tonstudio, Heimkino oder hochwertiger Musikhörraum genutzt werden soll. Für solche Räume gelten grundlegend andere Anforderungen, als sie z.B. im Wohnungsbau zur Anwendung kommen. Die wenigsten Architekten, Fachplaner oder Lieferanten haben das nötige Spezialwissen um solche Projekte erfolgreich umzusetzen. Wenn dann von gutgemeinten aber für diesen Anwendungszweck völlig unbrauchbaren Annahmen ausgegangen wird, kommt vermutlich früher oder später das böse Erwachen.

Glücklicherweise kann ich im Moment gleich an mehreren Studioneubauten mitarbeiten, die auf der grünen Wiese entstehen und bei denen zu Beginn meiner Arbeit noch praktisch alles offen war. Zusammen mit dem Bauherrn und dem Architekten kann man so in einer kreativen und sich gegenseitig befruchtenden Teamarbeit bereits während der Vorplanung sicherstellen, dass (auch) die Akustik die Anforderungen des Kunden erfüllt. Bei jeder anderen Vorgehensweise ist im Grunde genommen der Murks schon mehr oder weniger vorprogrammiert.

    Markus Zehner ist seit 20 Jahren in selbständiger Funktion in der Audio- und Akustik-Branche tätig u.a. als Musik-Produzent, Ton- und System-Techniker Live und im Studio, Audio- und Akustik-Planer, Fachautor und heute vorwiegend als unabhängiger Berater und Schulungsleiter. Mit Vorträgen, Seminaren und Schulungen hat Markus Zehner in den vergangenen Jahren weit über die Landesgrenzen hinaus Bekanntheit erlangt.über 2000 Teilnehmer haben bisher seine öffentlich ausgeschriebenen Anlässe besucht. Darüber hinaus haben ihn Dutzende von Firmen mit der zielgerichteten Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiter betraut. Seine Anlässe gelten als Garant für die effiziente und zielgerichtete Vermittlung von praxisrelevantem Wissen. Einfach verständliche und fachlich trotzdem korrekte Erläuterungen selbst komplexer Zusammenhänge, gelten als sein besonderes Markenzeichen.

    www.zehner.ch