Im Vergleich zum so genannten „Rock’n’Roll“-Bereich, sprich Konzerte und ähnliche Veranstaltungen, unterscheiden sich die Beschallungskonzepte bei Schauspiel- und Opernproduktionen zum Teil erheblich. Martin Person erklärt die Herangehensweise bei Beschallung im Sprech- und Musiktheater.
Im ersten von drei Teilen der Serie geht es um grundlegende Überlegungen zur Tongestaltung. Der zweite Teil behandelt verschiedene Beschallungskonzepte in Theater- und Opernhäusern. Im dritten Teil schließlich widmen wir uns Lavaliermikrofonen und der Verstärkung von inszenierungsbezogener Livemusik.
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Unterschiede zwischen Rock’n’Roll und Theater
Neben baulichen Gründen – viele Theaterhäuser sind historische Gebäude, welche beispielsweise das Einbringen großformatiger Line-Array-Systeme aus Gründen der Statik und des Denkmalschutzes nicht zulassen – sind für die Unterschiede zum Rock’n’Roll vor allem ein deutlich anderer klangästhetischer Ansatz, sowie die vornehmlich dramaturgisch motivierte Verwendung tontechnischer Mittel ausschlaggebend.
So wird beispielsweise eine durchgängige Verstärkung von Sprache, Gesang und Livemusik nur in manchen Inszenierungen eingesetzt und stellt somit eher die Ausnahme als die Regel dar.
Davon ausgehend lohnt sich zunächst eine nähere Betrachtung der Motivationen und Zielsetzungen, welche dem Einsatz von Audiotechnik bei Schauspiel, Oper und Musical zugrundeliegen, denn sie stellen die Basis für ein funktionales Beschallungskonzept und ein stimmiges Sounddesign dar.
Klangästhetische Ziele im Theater
Sowohl historische als auch neuzeitlich erbaute Schauspiel- bzw. Opernhäuser sind hinsichtlich Raumgröße und -akustik so konzipiert, dass die Stimmen professioneller Schauspieler und Sänger auf allen Zuschauerplätzen ohne elektroakustische Verstärkung gehört werden können. Das gleiche gilt für Musikdarbietungen von Orchestern, aber auch kleineren Besetzungen.
Im Regelfall ist die Bestuhlung für das Publikum nicht nur auf einer so genannten Parkettebene, sondern auch in der Höhe des Raums verteilt, das heißt es gibt zusätzlich ein oder mehrere Ränge, sowie gegebenenfalls Logen- und Balkonplätze. Aufgrund der dadurch relativ geringen Entfernungen zwischen Bühnenkante und letzter Zuschauerreihe (in historischen Theatern oft max.12 bis 15 Meter), ergeben sich neben einer verbesserten Sicht natürlich ebenso akustische Vorteile.
Lautsprecherpositionen im Portalbereich (Deutsches Theater Berlin)
Allerdings sei als vorgreifende Anmerkung bereits an dieser Stelle erwähnt, dass somit bei der Konzeption eines Beschallungssystems auch eine adäquate Schallverteilung in der vertikalen Ebene erreicht werden muss, um alle Plätze mit einem möglichst homogenen Klangbild zu versorgen.
„Unverstärkt“ klingende Verstärkung
Es ist festzustellen, dass erfahrungsgemäß selbst in Theatergebäuden mit grenzwertiger Raumakustik ein erheblicher Teil der Zuschauer, aber auch der Protagonisten – zumindest im deutschsprachigen Raum – den Einsatz von elektroakustischen Mitteln zur Steigerung der Sprachverständlichkeit und der Klangbalance aus „prinzipiellen“ Gründen ablehnt.
Natürlich gibt es trotzdem eine Reihe von Anlässen und äußeren Umständen, die bisweilen den Einsatz von Lavalier- und Instrumentalmikrofonen in Inszenierungen notwendig oder zumindest wünschenswert machen. Als Beispiel seien Aufführungen von klassisch inszeniertem Sprech- oder Musiktheater in Räumen, welche keine geeignete Raumakustik aufweisen bzw. bei Freilicht-Veranstaltungen (Open-Air), sowie Schauspielproduktionen mit erheblichen Anteil an (Live-)Musik genannt.
Unter Berücksichtigung der genannten Erwartung regelmäßiger Theatergänger nach einem „unverstärkten“ Klangbild kann bereits an dieser Stelle eine häufige und wichtige Zielsetzung eines Theater-Sounddesigns, nämlich die natürlich klingende (Stütz-) Beschallung unter Wahrung des Richtungsbezugs zur eigentlichen Schallquelle, definiert werden.
Weiterhin werden oftmals, insbesondere im Musiktheaterbereich, Elemente wie Chöre oder auch Teile des Orchesters, durch vorproduzierte Playbacks ersetzt. In manchen Fällen befinden sich zudem aus Inszenierungs- oder Platzgründen Chorsänger bzw. Musiker in einem Raum abseits der Bühne und werden über Lautsprecher in den Zuschauerraum übertragen. In beiden Fällen gilt normalerweise ebenso die Anforderung, ein möglichst natürlich wirkendes, mit der restlichen unverstärkten Darbietung harmonierendes Klangbild zu realisieren.
Musicals mit Konzertsound
Bei vielen Musicalinszenierungen wird aktuell häufig ebenso auf Playbacks zurückgegriffen, um beispielsweise größere Orchesterbesetzungen zu simulieren. Allerdings unterscheidet sich das avisierte Klangbild meist von dem des klassischen Musiktheaters. Als Basis des Sounddesigns fungiert hier tatsächlich fast immer eine durchgängige mehr oder weniger starke Verstärkung sämtlicher Instrumente und Sänger.
Ziel ist einerseits, die oftmals Pop- und Rock-orientierte Musik kraftvoller wirken zu lassen und andererseits dem Genre entsprechende Gesangs- und Sprechstile zu ermöglichen, bei denen anders als beispielsweise bei der Oper keine auf raumfüllende Pegel abzielende Atemstütze (Appoggio) verwendet wird.
Ein so genannter „bigger-than-life“-Sound inklusive deutlich sicht- und hörbaren PA-Systemen wird demnach auch gewünscht bzw. erwartet. Von daher ist die Musicalbeschallung – abgesehen von einigen später noch darzustellenden Besonderheiten – einer konventionellen Konzertbeschallung sehr ähnlich.
Experimentelles im Schauspiel
Deutlich andere klangästhetische Ansätze werden schließlich im Bereich Schauspiel oftmals verfolgt. So wird beispielsweise beim Einsatz von Stimmverstärkung häufig keine Steigerung der Sprachverständlichkeit als Ziel definiert, sondern die Herstellung eines so genannten Verfremdungseffekts (V-Effekt), welcher durch Bertolt Brecht („episches Theater“) zu einem gängigen Stilmittel geworden ist. Im Gegensatz zu einer naturalistischen Darstellung, welche Empathie und Identifikation mit den Figuren ermöglicht, sollen dabei sowohl Schauspieler als auch Zuschauer eine kritische Distanz zum Bühnengeschehen beibehalten.
Dies kann durch Unterbrechungen der Handlung, z.B. mittels Kommentare oder Videosequenzen, untypische Kostüme, Verzicht auf Requisiten oder eben auch durch eine künstlich überhöhte Sprachverstärkung, manchmal unter Einbeziehung von weiteren Effekten, erreicht werden. Aus tontechnischer Sicht können dazu nicht nur angeklebte Miniaturmikrofone oder Headsets, sondern auch – oftmals bewusst „Lo-Fi“-klingende – Handmikrofone, Megaphone oder ähnliches eingesetzt werden.
Weiterhin werden auch musikalische Elemente im Sprechtheater je nach Inszenierungsstil regelmäßig und mit unterschiedlicher Intensität eingesetzt. Dabei muss bei der Konzeption eines stimmigen Sounddesigns einerseits zwischen live-gespielter Musik, welche entweder durch Musiker auf bzw. neben der Bühne oder die Darsteller selbst dargeboten wird, und vorproduzierten Playbacks unterschieden werden. Andererseits sollte auch die dramaturgische Funktion der Bühnenmusik mit betrachtet werden.
Wenngleich hier eine eindeutige Abgrenzung aufgrund der vielfältigen heutigen Regiestile nicht möglich ist, kann unter klanglichen, respektive tontechnischen Aspekten zwischen „song-basierter“ Schauspielmusik, welche oftmals auch im Stile des erwähnten V-Effekts eingesetzt wird, und motiv-orientierter, inszenierungsbegleitender Musik unterschieden werden. Letztere ist in ihrer Rolle und Wirkung mit einem Film-Score vergleichbar, das bedeutet, sie wird oftmals im Hintergrund während Szenen oder kompletter Aufführungen als „Musikbett“ eingesetzt, um eine bestimmte Stimmung beim Zuschauer zu erzeugen.
Durch ein entsprechendes Beschallungs- und Sounddesign soll dabei, im Gegensatz zu eingestreuten Songs, welche meist mit den üblichen Mitteln und der Ästhetik einer Konzertbeschallung realisiert werden, in der Regel ein von den Lautsprechern losgelöstes, schwebendes Klangbild, welches beispielsweise aus der Tiefe des Bühnenraums zu entstehen scheint, erreicht werden.
Die perfekte Geräuschillusion?
Ein letzter separat zu betrachtender Bereich betrifft schließlich die so genannten Geräuscheinspielungen. Klangästhetisch wird hier sowohl im Sprech- als auch im Musiktheater meist ein naturalistischer Ansatz verfolgt. Das bedeutet, dass durch Pegel, Klang und Richtung eines eingespielten Samples das ursprüngliche Geräusch, z.B. ein Hundebellen, möglichst perfekt imitiert werden soll.
Dafür werden fast immer zusätzliche Lautsprecher als Punktschallquellen im, hinter oder über dem Bühnenbild, aber auch im Zuschauerbereich temporär installiert, wobei dabei das Problem eines sehr inhomogenen Klangeindrucks auf verschiedenen Zuschauerplätzen entstehen kann. Bisweilen sind als Gegensatz zu dieser naturgetreuen Abbildung auch Übertreibungen bzw. Karikierungen eines Originalgeräuschs gewünscht. Hier stehen dann sämtliche Beschallungs- und tontechnische Manipulationsmöglichkeiten, z.B. durch Effekte, zur Verfügung.
Ein Beispiel wäre die Zuspielung (bzw. bei entsprechender Funktionalität des Requisits auch Verstärkung mittels Mikrofon) eines Telefonklingelns mit überhöhtem Pegel über alle Lautsprecher im Zuschauerraum, während die Schauspieler auf der Bühne ein übliches (also „naturalistisch“ dargestelltes) Gerät benutzen.
Ein im Bühnenbild installierter Lautsprecher dient als Ortungsquelle für eine Geräuscheinspielung.
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Autor: Martin Person