Stephan Aue über sein Design für die vergangene „Engtanz“-Tour von Bosse im Allgemeinen und den Vari*Lite VL5 im Speziellen.
Bauernweisheiten, also simple Phrasen, die auf vielerlei Lebenslagen und Situationen angewendet werden können, begleiten uns alle von Kind auf. Sie werden gerne belächelt, sind aber meistens wahr und es gibt immer Momente, wo man sie anwenden kann und damit ist dann oft alles gesagt.
Meine Oma hatte einige dieser Weisheiten auf Lager und immer, wenn ich zu einer passenden Gelegenheit eine davon herauskramen kann, dann sage ich einleitend „Meine Oma hat immer gesagt…“. Die gute Frau weilt nun schon ewig nicht mehr unter uns und würde nicht einmal verstehen, was ich meine, wenn ich Sie hier zitiere. Aber in dem Kontext, um den es geht, ist es eben total passend und erhaltenswert.
Es irgendwie besonders machen
Ich bin seit dem Album „Wartessal“ mit Aki BOSSE unterwegs und habe seitdem auch schon einen ganzen Haufen Shows mit ihm bestritten und bin auf der ständigen Suche nach einem adäquten Mittel, um seine Konzerte zu inszenieren.
Zu jeder Zeit hatte ich irgendeinen konzeptionellen Ansatz, mit welchen Werkzeugen ich mich ausrüsten muss, um der Aufgabe gerecht zu werden. Ein Design ist ja immer geprägt von einer Grundüberlegung, und mit der Beauftragung eines Licht/Bühnendesigns möchte man immer gerne das altbewährte von vorneherein ausklammern. Ganz einfach weil man für Front-, Mid- und Backtruss ja keinen Designer braucht, also driftet man immer erstmal woanders hin, um es irgendwie besonders zu machen.
Ach, was haben wir nicht alles probiert. Zum Beispiel LEDBALL-Ketten, die in Kombination mit einem perspektivisch gezeichneten Backdrop ein haptischens Bühnenbild generieren, das Tiefe generiert und uns erlaubt, mit Licht und Video Atmosphäre zu schaffen (Bei der Wartesaal-Tour). Oder eine Videoinstallation, die auf dem Mappen von Content auf asymetrisch gehängte Chinalampen aus dem schwedischen Möbeldiscounter in Kombination mit Glübirnen basiert.
Immer auch ein bisschen modern und stets unter der Maßgabe, dass vor allen Dingen mit „warmen“ Farben zu arbeiten ist und alles von einer Person aufgebaut, eingerichtet und bedient werden kann, weil im Nightliner kein Platz mehr ist – wie bei der Tour zum Album „Kraniche“.
Viel Zeit ist also immer aufgewendet worden, um ein möglichst flexibles, skalierbares Design zu kreieren, das von Volumen und Gewicht her in einen Nightlinerhänger passt. Von Tour zu Tour wird die Aufgabe schwieriger und gipfelt in der Leise-Landung-Tour, die als Abschluss des „Kraniche“-Zyklus nochmal mit grösserer Band den langgehegtenTraum einer Akustik-Tour in „besonderen Häusern“ fest bestuhlt umzusetzt.
Mit einem Setup aus speziellen Reflektoren vor klassischen Movinglights sowie einem besonderem Vorhang als „Specials“ in einem 18t Gliederzug und einer Hauslichtanforderung für eine Grundausleuchtung der Musiker war das Limit dessen erreicht, was man ohne Lichtcrew hinstellen konnte erreicht. An diesem Punkt war klar, dass wir im nächsten Schritt eher auf eine Vollproduktion gehen würden.
Zum neuen und aktuellen Album Engtanz gab es im Frühjahr des Jahres 2016 aber erstmal noch eine Clubtour die erstmal wieder mit den alten Vorgaben (nur specials mitnehmen, kein extra Lichttechniker) stattfand. Das Bühnenbild sollte einem Partykeller gleichen. Specials waren schnell bei Ayrton gefunden, so dass mit neuem Backdrop, ein paar Cosmopix auf Trussäulen, einem Aufblashai und ein paar grünen und gelben Heliumballons sehr schnell das aktuelle Albumcover nachgebaut werden konnte. Damit konnte im Frühjahr in Clubs bis zu 1.800 Leuten Fassungsvermögen problemlos die Menge gerockt werden.
Von dort ging es in einen Festival-Sommer, in dem das Partykellermotto verfeinert und dramatisch grösser skaliert wurde, um auch auf grossen Festivals nicht zu klein zu wirken. Aki spielt gerne, wenn es noch hell ist. Und manchmal auf Festival, wo es Sinn macht, einen Backdrop zu haben, auf dem der Name des performenden Künstlers steht. Da mir das widerstrebt, entscheide ich mir für das anfertigen eines Inflatables, ein auflbasbarer BOSSE-Schriftzug, der gemäss aktueller Typotrends sehr rund und quietschgelb ist, also spätestens auf den Daylight Shows ein sehr cooler „Hingucker“ ist. Wir nennen es fortan „Hübfburg“ und es wird Teil des Bühnenbildes.
Nach einem sehr aufregenden Festivalsommer mit Shows von 3.000 bis 80.000 Besuchern galt es nun, die Erfahrungen aus den Shows im Frühjahr sowie den Sommershows in Form einer Vollproduktion in Venues von 3000 – 7.000 Besuchern zu vereinen und mit einer Dramaturgie zu versehen, in der sich die Bühne langsam aufbaut und bei der wir alle Elemente aus vergangenen Shows kombinieren können.
In der Vergangenheit war es immer mein Wunsch, Vari*Lite VL5 als Washlights mitzunehmen. Das ist die perfekte Lampe für den Künstler: Ein Tungsten Leuchtmittel, das von einem externen Dimmer angesteuert wird, die hochgelobte und bis heute unerreichte Farbmischung hat und nicht zuletzt der Look, der wirklich sehr „unique“ ist.
Der VL5 wird schon ewig nicht mehr gebaut und man konnte ihn nie kaufen. Als ich angefangen habe, mich damit auseinanderzusetzen konnte man die Dinger noch in der jeweiligen Vari*Lite-Niederlassung des Landes, in dem man sie einsetzen wollte, mieten.
Bitte alle Hands den Saal verlassen
Wäre ich ein paar Jahre früher eingestiegen hätte ich noch die Zeiten erlebt, in der normale Hands den Saal verlassen mussten, wenn die Vari*Lite-Tecs die Lampen eingehängt haben und erst wieder reinkommen durften, wenn das Rig auf Endhöhe war. So kreiert man einen Mythos, der bis heute anhält.
Das war der Beginn von allem und viele Ideen haben ihren Ursprung in diesem Produkt. Die VL Serie 300 verstand DMX und konnte von jedem Pult angesteuert werden, die Serie 200 verstand nur das Artisan-Protokoll, das aus der gleichnamigen Konsole kam, welches nur von wenigen Leuten bedient werden konnte.
Als es für mich interessant wurde, war die Geheimniskrämerei um die sagenumwobenen Geräte längst rum, aber eine normale Anmietung war damals noch nicht so einfach. Ich musste mich damals erstmal bewerben, ob man mir eine Anmietung überhaupt erlauben wolle und ich musste Verwendungsart und Grund erstmal erklären. Nach Prüfung der Sachlage und Erteilung eines generellen GO musste ich seinerzeit mit einem Mitarbeiter der Lichtfirma, die die Geräte anmietete, zu einer Serie-300-Schulung nach Köln und wir haben eine mehrtägige Schulung auf dem System bekommen. Das war wirklich beeindruckend und die einzige Möglichkeit, die Dinger zu bekommen, wenn man sie ohne Systemtechniker von denen haben wollte.
So ein Washlight wird auf einen Strom/Signaldistributor geklemmt, der sich Smart Repater (SR) nennt und der sechs Washlights versorgen kann. Die DMX-Adresse wird am SR eingestellt, von den Repeatern geht man zu den Lampen mit einem Kabel, durch das Strom und Signal laufen. Anfang der 90er waren diese Dinge bahnbrechend, heute ist das nur schwer nachvollziehbar und nicht mehr zeitgmäss.
Die Lampen haben in meinem favorisierten Betriebsmodus zehn DMX-Kanäle, dem geneigten Leser dürfte also schnell klar werden, das die Dinger nicht allzuviele Features haben können. Zoom und Focus sind in jedem Fall nicht dabei, der Anwender entscheidet im Vorfeld, welche Beamcharakteristik er haben möchte und lebt eben mit der Entscheidung. Im nächsten Schritt präsentierte Vari*Lite eine DMX-Serie und da liefen Strom- und DMX-Versorgung eben so, wie man es von heutigen Lampen kennt, aber ich persönlich denke, dass das eigentliche Geheimnis und diese Liebe und Magie und emotionale Verbindung in der Serie 300 steckt – und ich bin der festen Überzeugung, dass es oft kopiert, doch nie erreicht wurde – nicht mal von Vari*Lite selbst.
Maschinen mit Seele
Als ich mich entschieden habe mal wieder mit einem Set VL5 loszufahren, war ich schlagartig wieder verzaubert von diesen Maschinen, die eben auch eine Seele haben. Als sie kurz vor der Tour bei Ambion im Lager ankamen, haben wir angefangen sie in Dollies und Trussen einzubauen und ich habe ein Foto gemacht wie sie wirken und es in den sozialen Medien gepostet. Es gab ein ungewöhlich grosses Feedback.
Meine Generation und auch teilweise noch jüngere Menschen haben kommentiert, dass es sich hier immer noch um die beeindruckendsten Farben handelt und alle haben den Post mit Emoticons übersät.
„Alte Liebe rostet nicht“ war meine Headline für den Post und das ist eben auch eine dieser Weisheiten, die in diesem Kontext in jedem Fall stimmen. Nur Vinylplattenspieler, mein erster iPod, der Sony DDII Walkman, mein erstes Powerbook, die Wholehog II, der alte MacPRO und natürlich das iPhone sind jemals dort eingezogen, wo eben nur wenig Platz für Maschinen ist, nämlich dort wo Dinge wohnen, die Herz und Seele haben und die Dir, wenn wieder hervorgekramt, einen wohligen Schauer über den Rücken jagen und die in Erzählungen immer wie gute alte Freunde wegkommen.
Keine neue oder revolutionäre Idee
Die Idee, mal wieder mit VL5 ins Rennen zu gehen ist in keinem Falle neu, revolutionär oder innovativ. Viele geschätzte Kollegen kramen die immer wieder raus und schwören total auf den Look und die Haptik. Mein Freund Rolf Wenzel hat die immer eingesetzt, Timo Martens, Gunther Hecker, all diese Kollegen setzen sie immer wieder in Designs ein und auch mein Kumpel Bertil Mark schätzt sie als Werkzeuge sehr.
Ich habe nun gut ein Jahrzent keine mehr in Designs verbaut und schon bei den ersten Meetings hatte ich erwähnt, das ich mit diesen Lampen arbeiten möchte. Künstler und Management vertrauen mir in diesen Entscheidungen und relativ schnell hatte ich diese grundlegenden Systementscheidungen gefällt. Der Konsens aus allen Überlegungen war immer mehr Retro, mehr Vintage, weniger Effekte, mehr Atmo und warmes, stimmungsvolles Licht.
Also die ganzen alten Klassiker wieder in den Truck geschmissen: ETC-Profiler in der Front und VL 5mit ’stipple lens‘ als Gassenlichter. Colourscroller vor 4 Lite Blindern. Selbst in einem sehr sauberen Lager wie dem unseren war eine dicke Staubschicht auf den Kisten und auf die Frage, wo die stehen und wo PSU´s und 4pol Kabel lagern, wussten nur die wenigsten eine Antwort. Viele fragten sich, warum man den ganzen analogen Museumsquatsch mochmal rauskramen muss.
Gekrönt mit Studio Due CS2 Moving ACLs hatten wir auf jeden Fall ein Setup am Start, das den lokalen Helfern nicht selten Kommentare wie „Die gibt´s noch? – Was´n ditte für´n Zeug? – Ist Euer Lichtdesigner aus so´ner Zeitkapsel gekrochen, in der er 20 Jahre eingefroren war und der jetzt versucht, im alten Beruf weiter klarzukommen?“ entlockte. Nein, unser über Glasfaserstrecken übertragenes Artnet-Netzwerk, Die ETC-Profiler mit LED-Engine und die Quantum Spot von Martin Professional weisen darauf hin, dass es eben gewollt Old School ist.
Alle Erkenntnisse aus den Erfahrungen der vorangegangenen Touren und das wandelbare Bühnenbild, das sich mit Hilfe verschiedener Backdrops und Projektionstüchern sowie der obligatorischen Spiegelkugel, die mit Hilfe von VL4000 Beamwash Fixtures fast Sonnenartig den Raum erhellt, all diese Erkenntnisse resultieren in einem Lichtplot, der mich nach Fertigstellung kurz schmunzeln lässt:
Frontruss, Midtruss, Backtruss? Ist da dein Ernst? Ja, mein voller Ernst. Aber eben in seiner Langweiligkeit und Banalität eben die beste Lösung für uns. Vor allen Dingen, weil wir doch auch eine gewisse Range an Venues bespielen müssen. Und wenn wir es anders machen müssen in dem ein oder anderen Venue, dann haben wir ja immer noch den Artikel 3 aus dem rheinischen Grundgesetz: Et hätt noch emmer joot jejange.
Mit dem erzielten Ergebnis konnte man mehr als zufrieden sein und wir haben sehr gutes Feedback für unser Bühnenbild und unsere Inszenierung bekommen. Man programmiert anders, wenn man mit den alten Lampen arbeitet. Und das war für unsere Show sehr förderlich, die ich sehr gerne auf meiner Martin Professional M6 programmiert habe.
So viel Spaß für wenig Geld
Teil des Albumcovers ist ein Aufblashai, den wir bei Amazon endeckt haben und der damit den Grundstein für die Idee legte, mit grafischen Elementen aus dem Album-Artwork auf der Bühne zu arbeiten.
Nachdem wir das aufblasbare BOSSE-Logo etabliert hatten, begannen wir damit, auf sämtlichen Festivals den Hai szenisch in die Menge zu werfen und dann hüpfte er durch das Menschenmeer. Das war jeden Tag ein tolles Synonym für Effizienz, weil wir einfach alle Haie gekauft haben, die wir kriegen konnten. Und an der Stelle an denen einer unserer Musiker oder auch gerne mal einer von unseren Gästen und evtl. auch mal eines unserer Kinder den Hai is Publikum schmeisst, macht das eben für knapp 9 Euro so einen Schlag, wie es an der Stelle auch ein Konfetti oder Streamerschuss im Werte von 1.500 Euro getan hätte.
Manchmal kommen die Dinger sogar wieder, aber meistens sind sie weg. Der Hai hat es den in sozialen Medien schon ganz schön weit gebracht und wir nehmen ihn mit, wenn wir in einer freien Festivalminute mal ans Meer fahren, im Pool liegen oder ein Eis essen.
Wir sind eine grosse Familie auf Tour und der Hai gehört dazu. Am Ende dieses sehr empathischen, energiegeladenen Vortrages sind wir alle immer hochzufrieden und alle sind Teile des grossen Ganzen. Vielleicht hat eben dieser ganze Vintage- oder Retrogedanke auch seinen Teil zu dieser Stimmung beigetragen.
Mir hat es grossen Spass gemacht und Spass ist ja der Grund, aus dem ich das mal angefangen habe. Wir fahren heim und lösen die Tour wieder auf, das Material geht ins Museum zurück und ich lasse mich wieder in Carbonit einfrieren, um im März wieder mit etwas weniger Material und Personal noch ein paar Shows mit diesem Programm zu spielen. Wir haben noch genug Haie und das ist zur Not auch alles, was wir brauchen. Meine Oma hat immer schon zu erzählen gewusst: „Ein guter Hai fliegt nicht höher als er muss“.
Über den Autor:
Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann stellt Stephan im jungen Erwachsenenalter fest, dass es Zeitverschwendung wäre, etwas anderem als seiner Passion, der Musik, nachzugehen. 1993 beschließt er, der „sicheren“ Festanstellung“ den Rücken zu kehren.
Die beharrlich wachsende Klientel in der Live-Entertainment-Branche sowie der stetige Rückgang der Umsätze des Plattenladens, den er mit ein paar Freunden unterhält, führt Aue zu der Entscheidung, sich ausgiebiger dem Touren und den Liveshows zu widmen.
Dort findet er schließlich seine Berufung und arbeitet seitdem mit Leidenschaft in diesem Bereich. Als Vater eines achtjährigen Sohnes hat er allerdings nicht mehr soviel Fernweh und gestaltet seine Arbeit heute so, dass er eben neben der Arbeit auch so viel wie möglich Papa sein kann.