Als alt-J 2017 ihr drittes Studioalbum Relaxer veröffentlichten, ahnte noch niemand, dass die Indie-Rock-Band ein Jahr später Live-Geschichte schreiben würde.
Am 15. Juni 2018 spielten die drei britischen Musiker von alt-J im Rahmen ihrer aktuellen Welttournee eine Show vor rund 12.000 Zuschauern im Forest Hills Stadium in Queens, New York. Als erste Rock-Band überhaupt hüllte alt-J das Publikum dabei in eine 360°-Audio-Umgebung auf Basis des wegweisenden L-ISA Immersive Hyperreal Sound-Systems von L-Acoustics.
„Ganz egal, wo man sich im Publikum befindet – der Sound kommt von allen Seiten“, verriet alt-J Keyboarder Gus Unger-Hamilton dem UK-Musikmagazin NME bereits im Vorfeld der Show.
Zu den Beteiligten gehörte auch Lance Reynolds, der als fester FOH-Engineer von alt-J bereits seit 2015 auf Systeme von L-Acoustics zurückgreift. Laut Lance befand sich der Manager der Band, Stephen Taverner, seit einiger Zeit auf der Suche nach einer geeigneten Audio-Technologie, um eine der Shows in Surround zu beschallen. Aus diesem Grund stattete Reynolds dem US-Hauptsitz von L-Acoustics im kalifornischen Westlake Village einen Besuch ab, um sich persönlich vom Potenzial der L-ISA Technologie zu überzeugen. „Nachdem ich mich mit dem System vertraut gemacht hatte, kam die Aufregung und ich fing sofort an, zu überlegen, was ich damit alles anstellen könnte“, berichtet Reynolds. Stephen Taverner und die Band teilten den Enthusiasmus ihres FOH-Engineers und erkannten die Möglichkeit, eine der aufregendsten Live-Produktionen seit Jahrzehnten zu kreieren.
v.l.n.r.: Sherif El Barbari und Carlos Mosquera von den L-ISA Labs, David Brooks (L-Acoustics), Lance Reynolds (alt-J FOH Engineer), Tom Worley (Rat Sound Systems) und Scott Sugden (L-Acoustics) / Foto: © Drew Gurian
„Wow, hast du das gehört?“
Nachdem alles geklärt war, kehrte Reynolds zu L-Acoustics zurück und tauchte tief in das Mixing mit L-ISA ein. Gemeinsam mit den drei Bandmitgliedern erstellte er einen Show-Mix aus Live- und vorgefertigten Elementen, um die Surround-Möglichkeiten von L-ISA voll auszuschöpfen.
„alt-J arbeiten mit vielen interessanten Klangbausteinen und diversen Sound-Effekten. Dies kam mir beim Erstellen der Mixe für die Show sehr entgegen“, so Reynolds. „Diese Elemente existieren auch in unseren normalen Live-Shows, aber mit L-ISA treten sie wesentlich deutlicher hervor. Zudem konnte ich diverse Instrumente und Sounds betonen und präzise im Klangfeld positionieren. Darum geht es für mich in einem 360°-Mix. Es ist eine Erweiterung unserer bisherigen Arbeit, aber eine verdammt große… Normalerweise soll das Publikum meinen Mix nicht als solchen wahrnehmen. Im Idealfall klingt es perfekt, so dass sich die Zuschauer voll und ganz auf die Performance der Band konzentrieren können. Bei der L-ISA Show sollte das Publikum jedoch ganz bewusst den Unterschied erleben. Das Ziel war, dass jeder Zuschauer das Konzert verlässt und sich fragt: ‚Wow, hast du das gehört? Was war das denn?‘ Die Zuschauer sollten sich in alle Richtungen drehen und sich dabei komplett von der Musik umschlossen fühlen.“
L-ISA Labs Engineer Carlos Mosquera und alt-J FOH Engineer Lance Reynolds mit dem L-ISA Controller (Foto: © Drew Gurian)
Der L-ISA Sweet Spot
Ein weiteres Anliegen von Reynolds bestand darin, den Sweet Spot der Live-Beschallung zu erweitern. „Am FOH-Pult habe ich normalerweise den besten Platz in jeder Location. Ich arbeite den Mix so heraus, wie ich ihn für optimal halte und hoffe, dass jeder andere im Saal so viel wie möglich davon mitbekommt. Nichtsdestotrotz ist mir bewusst, dass der Klang an den Rändern und auf den Rängen nicht identisch mit meinem Höreindruck sein kann. Mit L-ISA hat sich dieses Problem nahezu in Luft aufgelöst. Bei einer L-ISA Produktion erleben die Zuschauer den Mix genauso wie ich am FOH – und das auf nahezu jedem Platz.“
Um einen derart großen L-ISA Sweet Spot zu realisieren, setzte Rat Sound als langjähriger Produktionsdienstleister für alt-J auf drei geflogene Arrays aus je 12x K2 im jeweils gleichen Abstand über dem Zentrum der Bühne. Als Ergänzung an den Seiten fungierten zwei einzelne Hangs aus jeweils 16 Kara-Elementen. Hinter dem K2-Center-Array flogen die Experten von Rat Sound zudem zwei Sub-Arrays mit je 8x KS28. Gerahmt wurden die fünf Hangs von zwei Array-Erweiterungen aus jeweils 16 Kara-Systemen, die nach innen eingedreht waren. Weiterhin fungierten 9x K2 pro Seite als Outfill für die seitlichen Sitzbereiche unmittelbar neben der Bühne. Als Frontfill setzten Rat Sound auf eine Kombination aus 3x 2 Kara und einem Pärchen ARCS II.
Für die insgesamt 16 Syva Surround-Lautsprecher konstruierte Tom Worley (KSE) von Rat Sound ein eigenes Befestigungssystem, indem er die Stative hinter den Geländer-Halterungen am oberen Rand des Stadion-Bowls befestigte und die Lautsprecher an diesen montierte. Obwohl die Syva größtenteils für Festinstallationen und Corporate- sowie private Events zum Einsatz kommen, überzeugten die schlanken Colinear-Systeme Worley auch im Live-Einsatz im Forest Hills Stadium: „Die Syva sind laut, leicht und haben die perfekte Abstrahlung. Zudem reichen sie auch ohne Subwoofer tief genug hinab, um in diesem Rahmen zu funktionieren“, erläutert Worley. Das Team verwendete die L-ISA Controller Software, um die einzelnen Klangobjekte im 360°-Klangbild zu positionieren. Die räumliche Berechnung der Audiodaten erfolgte über den L-ISA Prozessor.
Ein Ausschnitt der geflogenen K2-, Kara- und KS28-Arrays oberhalb der Bühne (Foto: © Drew Gurian)
Die zeitliche Abstimmung der Lautsprecher
Die Zuspielung der Signale wurde über die insgesamt 32 MADI-Ausgänge (L-ISA kann bis zu 96 MADI-Kanäle verarbeiten) einer Avid S6L realisiert. „Man kann alles über Einzelkanäle übertragen, aber ich habe in diesem Fall mit Stems gearbeitet“, erläutert Reynolds. Auf diese Weise konnten etwa die beiden Bassdrum-Mikrofone auf einem einzelnen Kanal gesendet und bearbeitet werden. „Dadurch hatte ich ein paar Extra-Kanäle zur Verfügung, um Submixe zu erstellen sowie bestimmte Signalquellen gezielt im Surround zu verteilen.“
Die zusätzlichen Ausgänge kamen zum Einsatz, um die zeitliche Abstimmung der Lautsprecher zu optimieren. Da sich die Syva-Systeme bis zu 75 Meter weit von der Bühne entfernt befanden, hätte man den Bühnensound auf den Surround-Lautsprechern mit einem Delay versehen müssen. Sonst würden die Zuschauer in der Nähe dieser Lautsprecher die Signale noch vor dem Hauptsignal aus der Main-PA hören. Gleichzeitig würde die Kompensation dazu führen, dass die Zuschauer vor der Bühne die entsprechenden Signale mit zeitlich verdoppeltem Delay wahrnehmen würden. „Die größte Herausforderung bestand darin, die Pegel untereinander präzise anzupassen, so dass sich die Surround-Signale nicht mit den Signalen von der Bühne in die Quere kommen. Dieses Problem konnten wir jedoch auf kreative Weise lösen“, so Reynolds.
„Über das Mischpult fütterten wir L-ISA mit verschiedenen Submixen, die Signalfahrten realisierte ich im Anschluss über automatisierte Snapshots mit dem L-ISA Controller“, erläutert Reynolds. Die gesamte Show basierte auf einer Timecode-Automatisierung zur Steuerung der Beleuchtung und der weiteren Gewerke.
Foto: © Drew Gurian
Immersion im gesamte Stadion
Die Surround-Effekte, die das Publikum umhüllten, zogen sich durch die komplette Show von alt-J und beinhalteten unter anderem einen vorbei fliegenden Hubschrauber, ein gespenstisches Wolfsgeheul sowie einen Kinderchor während des Songs Pleader und sorgten ein ums andere Mal für Gänsehaut und spontanen Jubel aus der Menge. Hinsichtlich eines durchgehenden, synkopierten Herzschlags zu Beginn des Songs Hunger of the Pine, der an einen Click-Track erinnert, hatte Reynolds die Befürchtung, dass dieser nicht wie beabsichtigt wirken würde. „Wir stellten fest, dass es nicht zu aufdringlich war, wenn wir den Herzschlag in den ersten acht Takten – bevor im Song etwas anderes passiert – manuell steuern.“ Das dynamische Panning der Herzschläge im weiten Rund des Stadions übernahm der aus Kalifornien stammende L-ISA Labs Engineer Carlos Mosquera. „Carlos verwendete einen Controller auf seinem iPad und verteilte den Sound gezielt mit einer einzigen Touch-Bewegung seines Fingers. Das sah schon irgendwie lustig aus.“
Nach der Show zeigte sich Reynolds von der Performance des L-ISA Systems zutiefst beeindruckt. „Während der Vorbereitungen am Tag zuvor und selbst am Morgen des Showtages wusste ich nicht, ob ich ausreichend gewappnet sein würde und wie es sich anfühlen würde. Während der Show gab es dann Momente, in denen der Surround-Sound das Stadion komplett ausfüllte und ich kaum glauben konnte, was ich da höre. Die Abdeckung der gesamten Location hat alles übertroffen, was ich bis dahin gehört habe. Ich lief nach vorne, nach hinten, von rechts nach links sowie quer durch den Innenraum – der Mix klang überall identisch. Man musste schon ganz genau hinhören, um Unterschiede wahrzunehmen. Die Immersion erstreckte sich über das gesamte Stadion. Es war absolut umwerfend.“
Zahlreiche Interviews mit Zuschauern bestätigten Reynolds Eindruck: „Atemberaubend! Die Sounds kamen aus jeder Richtung: von der einen auf die andere Seite und von vorne bis nach hinten. Ein absolut intensives Erlebnis, einfach nur cool.“ Ein weiterer Zuschauer fügte hinzu: „Es gab Momente, an denen ich dachte, der Sänger steht neben mir und flüstert mir ins Ohr. Ich habe bereits mehrere alt-J Shows besucht, aber erst bei dieser hatte ich das Gefühl, wirklich Teil der musikalischen Reise zu sein. Es fühlte sich an als würde die Band um uns herum stehen – selbst in der letzten Sitzreihe. Ich kann einfach nicht aufhören, zu grinsen.“